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Die Fawn-Response – wenn Angepasstsein zur Überlebensstrategie wird

Viele Menschen, die in ihrer Kindheit narzisstischem Missbrauch ausgesetzt waren, entwickeln unbewusst Strategien, um in einem unsicheren Umfeld zu überleben. Neben „Fight, Flight und Freeze“ gibt es auch eine vierte Reaktion: die Fawn-Response – das ständige Anpassen, um Konflikte zu vermeiden und Sicherheit zu finden.


Was ist die Fawn-Response?

Der Begriff Fawn bedeutet „sich einschmeicheln“ oder „gefallen wollen“. Die Fawn-Response beschreibt ein Verhalten, bei dem wir unbewusst versuchen, anderen Menschen alles recht zu machen. Wir geben unsere eigenen Bedürfnisse zurück, um Harmonie zu sichern, Ablehnung zu vermeiden oder Nähe zu gewinnen.

Typische Merkmale der Fawn-Response sind:


  • Überanpassung: immer freundlich, gefällig, hilfsbereit

  • Konfliktvermeidung: sofort nachgeben, um Auseinandersetzungen zu verhindern

  • Fokus auf andere: scannen, was die Menschen um uns herum brauchen

  • Selbstverlust: eigene Bedürfnisse und Gefühle gar nicht mehr wahrnehmen


Mehr als nur „People-pleasing“

Oft wird die Fawn-Response mit People-pleasing gleichgesetzt. Doch es geht tiefer. People-pleasing kann ein erlerntes soziales Muster sein – man möchte gemocht werden oder Harmonie schaffen.

Die Fawn-Response hingegen ist eine Überlebensstrategie des Nervensystems. Sie entsteht nicht aus Höflichkeit oder dem Wunsch nach Beliebtheit, sondern aus einem tief verankerten Gefühl: „Nur wenn ich mich anpasse, bin ich sicher. “Das bedeutet: Es ist kein bewusster Charakterzug, sondern ein Reflex, der in Kindheitssituationen entstanden ist, in denen Nähe und Liebe an Bedingungen geknüpft waren.


Diese Unterscheidung ist wichtig, weil sie verdeutlicht: Du hast dir dieses Verhalten nicht ausgesucht. Es war eine Weise, dich zu schützen. Und genau deshalb darfst du dich heute davon lösen.


Was im Nervensystem geschieht

Die Fawn-Response ist kein bewusst gewähltes Verhalten, sondern eine automatische Reaktion deines Nervensystems. Sie entsteht in Bruchteilen von Sekunden, oft bevor wir überhaupt darüber nachdenken können.

Unser autonomes Nervensystem hat verschiedene Reaktionsweisen, wenn es Gefahr wahrnimmt:


  • Fight (kämpfen)

  • Flight (fliehen)

  • Freeze (erstarren)

  • Fawn (anpassen, gefallen wollen)


Bei der Fawn-Response sucht der Körper Sicherheit durch Gefälligkeit bzw. Unterwerfung.


Typische Vorgänge im Körper:

  • Dein Nervensystem scannt permanent das Umfeld: „Ist jemand unzufrieden? Droht Gefahr?“

  • Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet.

  • Die Aufmerksamkeit richtet sich nach außen – innere Signale wie Hunger, Müdigkeit oder emotionale Bedürfnisse treten in den Hintergrund.

  • Es entsteht Hypervigilanz (Überwachsamkeit): das ständige Abtasten der Stimmung und Erwartungen anderer.

  • Muskeln spannen sich an, die Atmung wird flach, alles ist auf Reaktion vorbereitet.


Das eigene Erleben wird im Nervensystem zurückgedrängt, damit möglichst schnell Anpassung möglich ist. Der Körper lernt: „Meine Sicherheit hängt davon ab, dass es den anderen gut geht.“


Hochsensibilität als Folge

Aus dieser ständigen Wachsamkeit kann sich eine Form von Hochsensibilität entwickeln. Wenn ein Kind immer wieder gezwungen ist, die Gefühle, Bedürfnisse und Stimmungen anderer zu erspüren, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen, wird das Nervensystem extrem feinfühlig trainiert.

Viele Erwachsene, die überwiegend in der Fawn-Response gelebt haben, beschreiben später:


  • ein starkes Gespür für die kleinste Veränderung in der Stimmung anderer

  • das schnelle Wahrnehmen von Spannungen im Raum

  • die Tendenz, sofort innerlich in Alarmbereitschaft zu gehen, wenn jemand unruhig, wütend oder distanziert wirkt


Diese Feinfühligkeit kann einerseits eine Stärke sein – ein echtes Talent, andere tief wahrzunehmen. Doch wenn sie aus Trauma entstanden ist, fühlt sie sich oft wie eine Dauerbelastung an. Der eigene Körper bleibt in einem ständigen Alarmmodus, anstatt zwischen Anspannung und Entspannung wechseln zu können.


Was der ständige Alarmzustand bewirkt

Wenn das Nervensystem dauerhaft in Alarmbereitschaft ist, bleibt der Körper in einem Modus, der eigentlich nur für Notfälle gedacht war. Aus einer kurzfristigen Schutzreaktion wird ein chronischer Zustand.


Mögliche Folgen im Körper und Erleben:

  • Erschöpfung und Überforderung: Der Organismus verbraucht ständig Energie, um „bereit“ zu sein, auch wenn keine reale Gefahr besteht.

  • Verspannte Muskeln und Schmerzen: Daueranspannung im Körper kann zu Verspannungen, Kopf- oder Rückenschmerzen führen.

  • Gestörter Schlaf: Einschlafen oder Durchschlafen fällt schwer, weil das Nervensystem nicht in Ruhe schaltet.

  • Verdauungsprobleme: Das Verdauungssystem leidet, da Energie in den Alarmmodus statt in Regeneration fließt.

  • Schwierigkeit, eigene Bedürfnisse zu spüren: Weil die Aufmerksamkeit permanent nach außen gerichtet ist, gehen innere Signale verloren.

  • Gefühl von Entfremdung: Man ist ständig im „Tun“ für andere, aber kaum im Kontakt mit dem eigenen Inneren.


Psychische Auswirkungen:

  • Ängstlichkeit: Schon kleine Spannungen oder Veränderungen wirken bedrohlich.

  • Perfektionismus und Überverantwortung: Alles wird kontrolliert, um vermeintlich Sicherheit zu schaffen.

  • Scham und Schuldgefühle: Wenn Anpassung nicht perfekt gelingt, entsteht sofort das Gefühl, versagt zu haben.

  • Innere Leere: Weil die eigenen Bedürfnisse dauerhaft verdrängt werden, fehlt das Gefühl von Lebendigkeit.


Der Kern

Dieser Alarmzustand ist kein persönliches Versagen, sondern eine erlernte Reaktion des Nervensystems. Er erklärt, warum viele Betroffene unter chronischer Anspannung, Erschöpfung oder dem Gefühl, „nicht richtig da“ zu sein, leiden.

Erst wenn der Körper neue Erfahrungen von Sicherheit machen darf, kann sich dieser Dauerzustand lösen – und Raum entsteht für Ruhe, Verbundenheit und das eigene Spüren.


Wie Sicherheit in den Körper zurückkehrt

Die Fawn-Response ist eine unbewusste Alarmreaktion. Das Nervensystem springt automatisch an und lenkt die Aufmerksamkeit nach außen. Der Schlüssel liegt deshalb darin, dem Körper Schritt für Schritt neue Erfahrungen von Sicherheit zu geben. Erst wenn der Körper sich sicher fühlt, kann auch der Geist erkennen, dass die alten Muster heute nicht mehr notwendig sind.

1. Atem als Anker

Eine einfache und wirksame Möglichkeit ist, die Atmung bewusst zu vertiefen. Flache, schnelle Atmung signalisiert Gefahr, ruhige und tiefe Atmung dagegen vermittelt dem Nervensystem: „Ich bin sicher.“

  • Einatmen durch die Nase (4 Sekunden)

  • Kurz halten (2 Sekunden)

  • Lang ausatmen durch den Mund (6 Sekunden)

Dieses einfache Muster beruhigt den Vagusnerv und bringt das System zurück in den ventral-vagalen Zustand: ein Zustand von Verbundenheit und Sicherheit.

2. Erdung über den Körper

Sich wieder im Körper zu spüren, unterbricht den Automatismus des ständigen Scannens im Außen. Hilfreich ist es, bewusst die Verbindung zum Boden zu fühlen:

  • Barfuß stehen oder die Füße fest in den Boden drücken

  • Spüren: „Der Boden trägt mich. Ich bin gehalten.“ Auch kleine Bewegungen, wie das sanfte Schaukeln des Körpers vor und zurück, vermitteln Sicherheit.

3. Grenzen körperlich spürbar machen

Da die Fawn-Response Grenzen auflöst, kann es heilsam sein, sie körperlich zu üben:

  • Hände vor der Brust aneinanderlegen und sanft Druck ausüben

  • Einen Kreis mit den Armen um sich ziehen und spüren: „Hier beginnt mein Raum. “Das Nervensystem lernt so, dass Grenzen existieren dürfen, ohne dass Gefahr droht.

4. Sich selbst berühren

Eine sanfte Hand auf dem Herzen oder am Bauch kann das System beruhigen. Diese Selbstberührung signalisiert dem Körper: „Ich bin da für mich.“ Viele erleben dabei eine erste Verbindung zu ihrem inneren Kind.

5. Sich bewusst Zeit nehmen

Die Fawn-Response ist blitzschnell. Aber schon ein kurzes Innehalten – drei tiefe Atemzüge, ein inneres „Stopp“ – schafft Raum, um eine andere Wahl zu treffen. Mit der Zeit entsteht ein neues Muster: Nicht sofort reagieren, sondern erst spüren, was ich selbst brauche.


Warum das wirkt

Das Nervensystem unterscheidet nicht zwischen „damals“ und „heute“. Alte Erfahrungen von Unsicherheit können so lebendig wirken, als wären sie gerade erst geschehen. Wenn du dir heute sichere, körperliche Erfahrungen schenkst, begreift dein System nach und nach: „Die Gefahr ist vorbei. Ich bin erwachsen. Ich darf bei mir bleiben.“

So wird der Automatismus schwächer. Die Fawn-Reaktion muss nicht verschwinden – aber sie verliert ihre Kontrolle über dein Leben. Stattdessen entsteht immer mehr Raum für deine eigenen Bedürfnisse, Gefühle und Entscheidungen.


Meine eigene Überlebensstrategie

Die Fawn-Response war lange Zeit meine überwiegende Strategie. Ich habe sie so selbstverständlich gelebt, dass sie mir nicht einmal bewusst war. Für mich war es normal, mich nach außen zu orientieren und sofort wahrzunehmen, was andere Menschen brauchten.


Ich habe ständig gescannt:

  • Wie ist die Stimmung im Raum?

  • Was erwarten die anderen von mir?

  • Was muss ich tun, damit es allen gut geht?


Dabei habe ich eines übersehen: mich selbst. Meine eigenen Bedürfnisse konnte ich nicht spüren. Sie waren wie ausgelöscht, weil mein Nervensystem gelernt hatte, dass meine Sicherheit davon abhing, ob ich die Erwartungen der anderen erfüllte.

Dieses Muster führte dazu, dass meine Aufmerksamkeit immer nach außen gerichtet war. Ich war aufmerksam, angepasst, bemüht – und innerlich abgeschnitten. Alles drehte sich darum, wie ich von meiner Umwelt gesehen wurde und wie ich reagieren musste, um nicht in Gefahr zu geraten.

In mir blieb ein leises, dauerhaftes Gefühl von Leere und Erschöpfung zurück.


Der Wendepunkt

Erst als ich begann, mich intensiver mit meinen Überlebensstrategien auseinanderzusetzen, konnte ich erkennen, dass die Fawn-Response nicht meine „wahre Persönlichkeit“ war, sondern eine Reaktion auf Unsicherheit und Schmerz.

Ich lernte, mich selbst zu beobachten, wenn dieses Muster auftauchte. Heute erkenne ich schneller, wenn ich automatisch die Bedürfnisse anderer in den Vordergrund stelle.

Und dann halte ich inne. Ganz sanft sage ich mir – und auch meinem inneren Kind: „Du bist jetzt sicher. Du musst nicht sofort reagieren. Deine eigenen Bedürfnisse haben Raum und Bedeutung.“


Zurück zu mir selbst

Dieser Prozess ist nicht über Nacht geschehen. Es ist ein Übungsweg. Aber Schritt für Schritt habe ich gelernt, dass mein Wert nicht davon abhängt, wie gut ich die Erwartungen anderer erfülle.

Heute darf ich fühlen, was ich brauche. Ich darf Grenzen spüren. Ich darf Nein sagen. Und jedes Mal, wenn es mir gelingt, wächst ein Stück Vertrauen in mir: Ich bin sicher genug, um bei mir zu bleiben.


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